PRAXIS & GERÄTE Der direkte Draht

Der direkte Draht


Geflochtene Schnüre liegen voll im Trend. Was aber leisten die dünnen Superleinen mit der extremen Tragkraft wirklich?

Von Von Niels Janneck

Zander
Ein schöner Zander auf einen großen Bucktail-Spinner: Eine Anti-Kink-Fahne vor dem Vorfach schützt vor Schnurdrall.

Zanderangeln am Buhnenkopf: Mit sanftem Schwung segelt der 12er Gummifisch hinaus, flußab, an den Rand des Hauptstroms. Mit der Strömung treibt der wabbelige Verführer ab, hüpft durch Auf- und Abbewegen der Rutenspitze über den Grund. Die Rollenspule ist mit geflochtener Schnur gefüllt. Da diese Leine aus Polyethylen (PE) sich nicht dehnt, ist der Lauf des Köders haargenau zu spüren: man fühlt jeden Stein und jedes Loch. Plötzlich ein Ruck auf 25 m Entfernung. Blitzschneller Anhieb, sofort greift der Haken im Fischmaul – dabei spielt die Geflochtene erneut ihren Trumpf aus: den direkten Draht zum Fisch. Und eine sichere Verbindung obendrein: Über 9 Kilo trägt die gerade mal 0,16 mm starke Schnur – da kann kein Monofil mithalten! Der 55er Zander hat keine Chance, landet im Keschernetz.

Gleiche Buhne, neuer Anlauf. Diesmal ist das flache Buhnenfeld dran. Gemächlich dreht das Wasser seine Kreise. Nach 10 Würfen ruckt es etwas unerwartet, keine 5 m vor den Füßen. Die Rute fährt hoch, aber der Haken schlitzt nach kurzem Kontakt aus. Ein zu harter Anhieb, den Monofil-Schnur vielleicht hätte abpuffern können. Denn im Gegensatz zur Geflochtenen kann sich das Nylonmaterial dehnen – unter Höchstbelastung um bis zu 25 % der Ausgangslänge.

Glück und Elend mit Geflecht

Glück und Elend können beim Einsatz geflochtener Schnüre eben dicht beieinander liegen. Fehlende oder minimale (ca. 5 % bei voller Belastung) Dehnung ermöglicht – wie beschrieben – einen hervorragenden Kontakt zum Köder, lässt jeden Zupfer spüren und meist auch erfolgreich anschlagen. Beim Anhieb lässt sich auf 60 m Entfernung noch eine Kraft von über 3 Kilo übertragen, während bei Monofil die Federwaage gerade mal 0,3 kg Zugkraft anzeigt. Noch dazu sind die PE-Schnüre äußerst abriebfest, können also kaum an Unterwasserhindernissen aufscheuern. So abriebfest, dass sie sich regelrecht in Rutenringe einsägen können, sofern es sich nicht um die hochwertigen SIC-Ringe handelt.

Auch sind die Tragkraftwerte im Vergleich zu Monofil-Sehnen gleichen Durchmessers deutlich höher. Schließlich gilt die Gleichung: Je dünner die Schnur, desto geringer der Strömungswiderstand und damit die Abdrift. Eine wichtige Voraussetzung, um den Köder auf Tiefe bringen bzw. am Grund halten und führen zu können.

Die Kehrseite der Medaille: Zu kräftige Anhiebe wiederum katapultieren den Köder aus dem Fischmaul heraus. Bleibt aber der Flossenträger dennoch hängen, erhöht sich bei Geflechtschnur die Gefahr, dass der Haken ausschlitzt. Besonders, wenn auf Kurzdistanz gedrillt wird. Auch neigt das geschmeidigere Geflecht eher zum Verdrallen als Monofil, woraus Schnursalat beim Auswerfen resultieren kann.

Aber bevor Sie jetzt denken „nix für mich“ und weiterblättern, muß gesagt werden, dass es wirksame Mittel gibt, die unerwünschten „Nebenwirkungen“ geflochtener Schnüre abzumildern. Nicht von ungefähr gibt es gerade unter den Spinnanglern „Geflecht-Verfechter“, bei denen nichts anderes mehr auf die Spule kommt.

Um den gefürchteten Schnurdrall in den Griff zu bekommen, ist eine saubere Wicklung Grundvoraussetzung. Die erhält man, indem die Leine regelmäßig neu aufgespult wird – und zwar auf der Wiese. Dazu die ersten 100 m Schnur von der Rolle ziehen und ohne zusätzliches Gewicht wieder einkurbeln.

Weiter werfen bei gleicher Tragkraft

Drallfrei aufgespult werden Sie mit Geflechtschnur gleichen Durchmessers zwar dennoch weniger weit als mit Monofil-Sehne werfen. Aber schließlich bietet Geflochtene in der Praxis den entscheidenden Vorteil, deutlich geringere Durchmesser fischen zu können. Dann wiederum wirft sie sich aufgrund ihrer schmaleren Maße weiter als Monofil mit vergleichbarer Tragkraft, nämlich um bis zu 15 %. Und das, obwohl die steife und glatte Sehne – rein von den Materialeigenschaften her – generell besser durch die Ringe flutscht.

Auch lassen sich Fehlanhiebe oder Drillaussteiger zumindest reduzieren. Einerseits durch einen sanft gesetzten Anhieb; andererseits durch Einsatz einer Rute mit weicher, durchgehender Aktion und sensibel justierter Rollenbremse.

Trotzdem gibt es für mich immer noch Situationen, in denen das gute, alte Nylon gegenüber Geflecht den Vorzug erhält. Dazu gehört das Ufer-Spinnfischen im Flachwasser auf Kurzdistanz. Und auch beim Watangeln auf Meerforellen verlasse ich mich bei den oft tollkühnen Drillfluchten der Silbertorpedos lieber auf den monofilen Dehnungs-Puffer. Dasselbe gilt fürs Kutterangeln auf der Ostsee; aber nur, wenn weniger als 10 m Wasser unter dem Kiel sind und die See ruhig ist. Aus den weichen Dorschmäulern nämlich schlitzen Pilker besonders leicht aus.

Unbestreitbare Vorteile jedoch bieten die Geflochtenen allgemein beim Fischen auf größere Distanzen und im tiefen, strömenden Wasser – egal, ob an der Küste oder im Binnenland, ob beim Spinnfischen oder Ansitzangeln. Und so lässt sich auch ein kapitaler Hänger mit dem „direkten Draht“ unter Umständen noch lösen. Ich jedenfalls konnte schon manchen wertvollen Kunstköder mit einem Kraftakt retten, weil letztlich der Haken nachgab und nicht die Schnur.

Markt-Info

Mittlerweile haben zahlreiche Hersteller geflochtene bzw. thermoversiegelte Polyethylen-Schnüre im Programm, z.B.

  • Mitchell Spiderwire, Tragkraft 14,2 kg bei 0,20 mm Durchmesser, Preis

    ca. 55,- DM pro 100 yds. (ca. 90 m);

  • Berkley Fireline (0,20 mm/13,2 kg), Preis ca. 45,- DM/100 m;
  • Cormoran Corastrong (0,20 mm/16 kg), Preis ca. 29,- DM/100 m;
  • D.A.M. Hypron Eco weiß (0,20 mm/16 kg), Preis ca. 40,- DM/100 m;
  • Stroft GTP (0,20 mm/6 kg), Preis ca. 60,- DM/100 m;
  • Silstar Grizzly Braided Dyneema (0,20 mm/13 kg), Preis ca. 40,- DM/100 m.

Alle genannten Produkte sind in verschiedenen Durchmessern erhältlich. Hier wurden sie auf 0,20er beschränkt, um die Tragkraft miteinander vergleichen zu können. Bei den Angaben der Schnurdurchmesser sind allerdings erhebliche Abweichungen möglich, da geflochtene Schnüre beim Messen leichter gequetscht werden können als monofile.

(Stand 1999)

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Auch zum Vertikalangeln direkt unterm Boot ist Geflechtschnur oft Pflicht.
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