100 Jahre ist er schon alt – und er fängt noch heute: der Heintz-Löffel.
Thomas Kalweit
Norwegen, 1906: Ein gewaltiger Lachsfluss breitet sich in kahler Felsenlandschaft aus. Auf den Stromschnellen tanzt ein Holzboot. Im Heck sitzt ein adrett gekleideter, deutscher Gentleman mit freundlichem Schnauzbart. Vom geruderten Boot aus schleppt er mit einem dünnen Blechblinker systematisch das wilde Fließgewässer ab. Sein geübter Bootsführer, ein knorriger Norweger, rudert in Schlangenlinien, von Ufer zu Ufer pendelnd, gegen die Strömung. Harling-Fischerei nennt sich diese urtümliche Methode, entwickelt am mächtigen Namsen.
Der Angler im Boot hieß Dr. Karl Heintz. Auf seiner Norwegenreise staunte der Münchner Arzt über die überlegene Fängigkeit von einfachsten Blech-Blinkern. Er fischte dort mit dem Comersee-Blinker, einem ursprünglich oberitalienischen Modell, auf skandinavische Lachse und Forellen: „Was ich auch sonst noch an den einzelnen Flüssen an als fängig gepriesenen künstlichen Ködern in Gestalt von Fischchen und Löffeln versuchte, weitaus den größten Erfolg hatte ich zum Staunen der eingeborenen Bootsführer mit meinem Blinker.“
Jan Lock
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„Kommende Generationen deutscher und österreichischer Angler werden lernen, auf Karl Heintz zu blicken als liebevollen Meister, als würdigen Izaak Walton ihrer großen und herrlichen Fischereigebiete“, so rühmte R.B. Marston den deutschen Altmeister.
Zurück in München hielt es Dr. Heintz kaum noch in seiner Praxis. Großes bahnte sich an: Der umtriebige Angler hatte den perfekten Blinker ausgetüftelt. Vom Angelgerätehersteller Jakob Wieland ließ er sich einen fischförmigen Prototypen mit 2 Drillingen aus versilbertem Kupferblech herstellen. Speziell für die Angelei auf seine geliebten Huchen in besonders schwerer Qualität gefertigt – das Urmodell des Heintzblinkers war geboren. Bereits beim ersten Testfischen am 1. Oktober 1907 konnte der Doktor damit 2 schöne „Donaulachse“ von
25 und 30 Pfund überlisten. Form, Biegung und Montage wurden in der Folgezeit weiter perfektioniert. Letztlich ließ sich Wieland den vollendeten „Heintzschen Silberblinker“ als Gebrauchsmuster schützen.
Der Münchner Hersteller brachte nur vernickelte Modelle in den Handel, deren Oberfläche praktischerweise im Wasser nicht anlaufen konnte. Heintz bevorzugte aber von Anfang an hochglänzende, galvanisch versilberte Köder. Diese mussten vor dem Angeln stets mit Politur auf Hochglanz gebracht werden. Zeitweise experimentierte er auch mit weißer Emaillefarbe, um seinen Blinker im Wasser noch auffälliger zu machen.
Jan Lock
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Der deutsche Angelpapst Dr. Karl Heintz mit seiner Lieblingsbeute, listigen Huchen.
Genialer Köder
Der neue Kunstköder schlug in Anglerkreisen ein wie eine Bombe. 1914 resümierte Jakob Wieland: „Der Original Silberblinker nach Dr. Heintz hat sich in den 6 bis 7 Jahren, seit er in seiner Vollkommenheit von mir eingeführt wurde, wie kein anderer künstlicher Köder ganz vorzüglich bewährt.“ Dennoch klagte er: „Wie alles, was sich bewährt hat, bald Nachahmung findet, so wurde auch der Silberblinker vielfach in etwas veränderter Form und Adjustierung nachgeahmt. Man verlange daher stets den Silberblinker nach Dr. Heintz.“
Denn die Konkurrenz schlief nicht: Stork München brachte „Original Hecht- und Huchenblinker“ und verschiedene Silberblinker auf den Markt. D.A.M. Berlin präsentierte den „Germania-Silberblinkfisch“. Doch kein Plagiat kam an die Genialität der Heintz-Konstruktion heran.
Der Erfinder belächelte die schlecht gelungenen Imitationen: „Der Blinker wurde oft nachgemacht, aber in Anbetracht des Musterschutzes mit kleinen Abweichungen an Gestalt, Haken und Wirbeln, und zwar merkwürdigerweise mit Abweichungen, die ich bei der Verbesserung meiner ersten Versuche als minderwertig beseitigt hatte.“
Lassen wir einen Praktiker aus der Zeit das Erfolgsgeheimnis des genialen Köders beschreiben: „Der Heintzblinker hat eine Eigentümlichkeit: Er wechselt dauernd die Drehrichtung. Er dreht sich ein paar Mal links herum, ein paar Mal rechts herum, steigt ein bisschen, sinkt ein bisschen, und so wird aus dem bloßen Spinnen das lockende, gleißende Spiel, um dessentwillen der Heintzblinker so berühmt ist“, schwärmte 1928 Dr. Bretzke aus Riesenburg in Westpreußen. „Man kann wohl ruhig behaupten, dass es der beste Blinker ist, der je auf dieser Erde erfunden wurde.“
Jan Lock
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Die originalen Heintzblinker – nur echt mit dieser Signatur.
Deutschlands erfolgreichster Kunstköder ist auch 100 Jahre später aus keiner Kunstköder-Box wegzudenken. Vor wenigen Jahrzehnten vertrieb man bei Hebeisen in Zürich noch auf den Originalwerkzeugen hergestellte Köder. Die Heintzsche Blinkerschmiede steht heute im Fischereimuseum in München. Originalköder tragen im Prägeaufdruck stets den „Dr.“ in Schreibschrift im Namenszug, nachgemachte Modelle anderer Firmen kommen ohne akademischen Titel und mit plumpen Druckbuchstaben aus.
Deutscher Angelpapst
Dr. Karl Heintz, der Altmeister der deutschen Angelei, starb am 10. Januar 1925 in München im Alter von 75 Jahren. Seine Anglerkarriere begann am Starnberger See, dort fischte er in Jugendtagen zusammen mit dem berühmten Angelschriftsteller Wilhelm Bischoff.
Auch durch den Einfluss dieses Angler-Titanen entwickelte sich Heintz zum ersten modernen deutschen Angler: Er unternahm wie selbstverständlich ausgedehnte Angelreisen ins Ausland und fuhr zum jährlichen „Fischurlaub“ in den Taunus. Zusätzlich hatte der Doktor zeitweise über 70 km Fluss- und Bachstrecken in Fischereipacht. Er fischte an Iller, Wertach, Lech, Isar, Ammer, Amper und Inn, pachtete sich den Haldensee in Tirol. Ein teures Vergnügen, seine Arztpraxis in München muss zweifellos floriert haben. Nicht zuletzt durch den ungeheuren Geld- und Zeiteinsatz konnte Heintz in seinem Leben insgesamt über 800 Huchen landen.
Zu seinem Sommersitz in Tannheim in Tirol pilgerten die Anglergrößen der Zeit. Mit vielen internationalen Koryphäen war er eng befreundet. 1903 gelang dem praktischen Arzt der große Wurf, er veröffentlichte sein bahnbrechendes Werk „Der Angelsport im Süßwasser“. Hinzu kam eine erstaunliche Zahl von Eigenentwicklungen: Heintz konzipierte leichte Forellen- und Hechtspinnruten, natürlich eine schwere Huchengerte, erdachte zahlreiche Kunstköder, verbesserte das Krokodil-Spinnsystem von Hardy, band erste Hechtstreamer…
Der Herausgeber der Fishing Gazette, der Engländer R.B. Marston, würdigte Dr. Karl Heintz 1925 in einem Nachruf: „Der Doktor war der Verfasser des besten Werkes über Angelsport, welches je in einer anderen Sprache außer der englischen erschienen ist.“ Mehr Lob war aus dem Mutterland der modernen Angelei nicht zu erwarten. „Und kommende Generationen deutscher und österreichischer Angler werden lernen, auf Karl Heintz zu blicken als liebevollen Meister, als würdigen Izaak Walton ihrer großen und herrlichen Fischereigebiete.“ Voller Scham müssen wir eingestehen, unseren berühmtesten Angler fast vergessen zu haben.
Sollten Sie weitere Geheimnisse über den Heintzblinker lüften können, dann melden Sie sich: Tel. 02604/978-175, E-Mail:thomas.kalweit@paulparey.de. In Heft 3/2007 berichtet Thomas Kalweit über den geheimnisvollen Bellifortis-Blinker von 1405.