Wie der Tod Marilyn Monroes mit der Rapala-Erfolgsgeschichte zusammenhängt, verrät Thomas Kalweit.
In der Mitte Finnlands erblickte Lauri Saarinen 1905 das Licht der Welt. Doch der Junge von der Insel Sysmä im Päijänne-See konnte sich an seinem Namen nur 9 Jahre lang erfreuen. Denn im Einwohnermeldeamt machte ein Beamter einen schicksalsträchtigen Fehler: Er trug versehentlich Rapala, Lauris Geburtsörtchen, als seinen Nachnamen ein. Und so war es geschehen – die Legende nahm ihren Anfang…
Nach der harten Arbeit in der Landwirtschaft, die der arme Lauri seit seinem 10. Lebensjahr täglich verrichtete, zog es ihn abends zum Fischen. Er bereicherte so den Speisezettel seiner Mutter. Lauri besuchte nie eine Schule, Lesen und Schreiben brachte ihm erst seine Frau Elma bei, die er 1928 heiratete. Auch hier deckte Lauri den Unterhalt seiner kleinen Familie als erfolgreicher Fischer, den Fang verkaufte er auf dem Markt in Lahti.
Er fischte mit Langleinen, die er mit lebenden Köderfischen bestückte – bis zu einem folgenschweren Sommertag: 2 Cousins seiner Frau, Uuno und Urpo aus der Metropole Helsinki, waren zum Angelurlaub zu den Rapalas gereist. Wohl zum ersten Mal sah Lauri Hobbyangler, die nur aus Spaß mit Blinkern, Spinnern und amerikanischen Holzködern den Hechten nachstellten.
Der erste Wobbler
Lauri betrachtete die fängigen Kunstköder. Besonders die kunstvoll lackierten und für ihn unerschwinglichen Holzfische hatten es ihm angetan. „Das kann ich auch!“ wird er wohl gedacht haben. Rapala experimentierte mit Kork und Kiefernrinde. 1936 glückte ihm dann das erste wirklich gut laufende Modell. Um den 11 cm langen, auftriebsstarken Köder auf Tiefe zu bringen, verpasste er ihm eine überdimensionierte Tauchlippe aus Metall. Versiegelt wurde der erste Köder mit Klarlack und beigemischten, goldenen Glitzerflocken.
Aus seinen jahrelangen Erfahrungen als Fischer wusste Lauri genau um die bevorzugte Beute der Hechte: Nur die ungleichmäßigen Bewegungen eines verletzen Fischchens machten die Raubfische rasend! Bei den Fischern rund um den Päijänne-See waren Lauris erste Köder mit diesem unwiderstehlichen Hüftschwung sehr begehrt. Sie schleppten sie an Handleinen hinter dem Boot her, sparten sich so den zeitraubenden Köderfisch-Fang.
1938 führte sogar der Tante-Emma-Laden in Kalkkinen ein kleines Rapala-Sortiment. Der erste Köder war golden, doch Lauri wollte silberne Exemplare in der natürlichen Farbe der Hecht-Futterfische. Dünnes Stanniol von Schokoladenriegeln traf genau den richtigen Farbton. Zur Oberflächenversiegelung dienten ihm gebrauchte Foto-Negative, die er genau in Wobblerform schnitt und dann in Azeton einweichte. Dieser Zelluloid-Mantel war unverwüstlich, Hechtzähne konnten ihm nichts anhaben. Der Legende nach soll er mit dem neuen Köder 300 kg Fisch an nur einem Tag gefangen haben. Aus diesem frühen Modell entwickelte Lauri in der Folgezeit den Rapala-Original, wie wir ihn heute kennen. Auch während des 2. Weltkrieges schnitzte er in den Frontgräben weiter an seinen Ködern. In einer Nacht fing er zusammen mit seinem Offizier Myyryläinen 70 Hechte, alle landeten in der Feldküche – die ausgehungerten Kameraden waren satt und begeistert.
Köder für Übersee
Nach dem Krieg wurde Rapala zum Familien-Unternehmen: Lauri, seine Frau und die vielen Kinder schnitzen Köder in Serie, wie am Fließband. Auch die Köderschachteln wurden per Hand gefaltet und geklebt, jeder Wobbler im schnell strömenden Wasser der Kalkkinen-Wasserfälle getestet.
Die erste Maschine kam bei Rapala erst Anfang der 50er Jahre zum Einsatz: Ein umgebautes hölzernes Spinnrad, das drehende Rad mit dünnem Sandpapier beklebt – eine Schleifmaschine finnischer Bauart.
Auch der größte finnische Angelgerätehändler Fritz Schröder in Helsinki hatte nun Rapalas im Angebot: Und so kam es 1952 bei den Olympischen Sommerspielen in der finnischen Hauptstadt, wie es kommen musste. Die Welt wurde aufmerksam auf den kleinen Wobblerschnitzer. Die ersten Exemplare gingen in die USA. 1953 arbeiteten bereits 25 Menschen – meistens in Heimarbeit – für das noch kleine Kunstköder-Imperium.
Schröder bestellte 300 Wobbler nach Helsinki, die Schnitzmesser rotierten. Alle Wobbler wurden zu dieser Zeit aus dicker Kiefern-Borke hergestellt. Zwischen 1936 und 1955 gingen bei den Rapalas 51.404 Wobbler durch die Endkontrolle, und die Zahl stieg ständig. Lauri kam mit der Produktion kaum nach, maximal 3.000 Köder pro Monat konnte er liefern. Deshalb wich er auf Balsaholz aus, weil es sich rationeller verarbeiten ließ.
Die „finlander plugs“ schlugen auch in den USA ein. Am 19. März 1960 gingen die ersten 1.000 Köder zu einem Großhändler nach Minneapolis. Einen Monat später folgte die Nachbestellung mit weiteren 2.040 Wobblern. 1960 wurden insgesamt 31.135 Rapalas in die Neue Welt verschifft.
Rapala und Marilyn
Doch durchstarten sollte die finnische Firma erst 1962: Das berühmte Life-Magazin brachte eine große Geschichte über Lauri Rapala, ein Reporter war sogar nach Finnland gereist. Und der Zufall schlug ebenfalls zu: Auf dem Titelbild prangte die Todesmeldung von Marilyn Monroe – es war die meistverkaufte Life-Ausgabe aller Zeiten. Die Nachfrage auf dem US-Markt nach Rapala-Wobblern explodierte. In kürzester Zeit lagen 3 Millionen Bestellungen vor. Die finnische Firma kam mit den Lieferungen nicht nach, die Preise in den USA stiegen – bis zu 25 Dollar pro Köder. Findige Gerätehändler kamen auf folgende Idee: Sie vermieteten Rapalas für 5 Dollar pro Tag, hinzu kamen 20 Dollar Pfand.
Die Firma wuchs weiter: Arbeiteten 1963 noch 18 Mitarbeiter im Rapala-Werk, in diesem Geschäftsjahr wurden 272.482 Köder verkauft, stieg die Zahl bis 1968 auf 100 Mitarbeiter. 2.050.066 Köder verließen die Produktionsstätte in diesem Jahr. Am 20. Oktober 1974 starb Lauri Rapala, der Holzschnitzer vom Päijänne-See. Doch der Erfolg seiner Firma ging weiter: 1988 hatten 100.000.000, 1993 schon 150.000.000 Köder die Rapala-Produktion verlassen. 2007 wurden jährlich um die 20 Millionen Rapalas in 140 Länder verkauft.