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Kurioses aus der Köderbox

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Decoys sind hölzerne Lockfische aus Amerika. Heute sind die aufwändigen Schnitzereien begehrte Sammlerobjekte.
Decoys sind hölzerne Lockfische aus Amerika. Heute sind die aufwändigen Schnitzereien begehrte Sammlerobjekte.

Gerade bei künstlichen Ködern scheint die Fantasie mancher „Entwickler“ keine Grenzen zu kennen, das ist heute so und das war damals nicht anders. Im Interview verrät Thomas Kalweit, welche seltsamen Blüten der Erfindergeist besonders bei Hechtködern trieb.

DER RAUBFISCH: Hallo Thomas, ein Blick in eine moderne Kunstköderbox zeigt, dass uns Anglern die Kreativität angeboren zu sein scheint. Ob Gummifische, Wobbler oder Jerk – es gibt nichts, was es nicht gibt. Wann hat dieses „Erfinden“ von Kunstködern eigentlich angefangen?

THOMAS KALWEIT: Na ja, so lange es Angler gibt, so lange wurden auch schon Kunstköder gebaut. Die ersten Modelle waren dabei sicherlich aus glitzernden Muschelschalen und bunten Federn hergestellt. Ureinwohner auf irgendwelchen Südsee-Inseln fischen heute noch mit diesen Ködern. Es gibt aber auch in Europa archäologische Funde aus der Bronzezeit, die ein hohes Maß an Ideenreichtum beweisen. In Polen beispielsweise hat man uralte Metallköder ausgebuddelt, einfache Metallplättchen, die an einer Seite zu einem spitzen Haken  ausgeschmiedet wurden. Mit solchen Ködern wurde dann auch bei uns in Deutschland vor allem vom Boot aus geschleppt.

RAUBFISCH: Auch heutzutage bilden die Blechköder ja eine riesige Ködergruppe. Gibt es darunter vielleicht ein besonderes Modell, dass Dich auch heute noch beeindruckt?

KALWEIT: Ach du Schande! Gerade aus Blech gibt es die unglaublichsten Kunstköder mit zig Propellern, eingebauten Glasaugen, sich beim Biss ausklappenden Schnapphaken, eingebauter Federung für den Drill und so weiter und so fort. Die genialste Erfindung ist aber sicherlich der einfache Spinner mit dem um eine Achse rotierenden Spinnerblatt. Dieser Ködertyp wurde in den 1930er Jahren vom Franzosen André Meulnart erfunden, ein Auto-Konstrukteur bei Peugeot. Später wurden diese Köder dann unter dem Namen „Mepps“ weltberühmt. Ich möchte nicht wissen, wie viele Millionen Spinner inzwischen verkauft wurden – und wie viele Fische damit gefangen wurden. Da kann sicher kein anderer Kunstköder mithalten!

Dieser Riesenwobbler ist zwar nur ein Schaustück, fangen würde er aber wahrscheinlich auch.
Dieser Riesenwobbler ist zwar nur ein Schaustück, fangen würde er aber wahrscheinlich auch.

RAUBFISCH: Letztens sah ich das erste Mal in meinem Leben so genannte „Decoys“. Ich war ehrlich gesagt ziemlich baff.

KALWEIT: Decoys sind nicht nur schön anzusehen, sondern auch ein tolles Sammelgebiet. Diese Lockfische wurden ursprünglich von amerikanischen Ureinwohnern beim Eisfischen eingesetzt. An einer kurzen Pimpel geführt, locken die Decoys neugierige Hechte bis kurz unter die Wasseroberfläche, wo sie dann mit einer Fischgabel einfach aufgespießt werden. Die europäischen  Einwanderer hatten diese Fangmethode übernommen und das Schnitzen der Decoys zu einer regelrechten Volkskunst entwickelt. Inzwischen ist diese Art der „Fischerei“
zwar auch in Nordamerika ziemlich verpönt, es gibt aber immer noch Gegenden, wo damit gefischt wird. Die Decoys sehen zwar aus wie Wobbler, besitzen aber keinerlei Haken. Heute werden von amerikanischen Sammlern problemlos einige tausend Dollar für einen seltenen Decoy gezahlt.

Mindestens 60 Jahre alt ist dieser Kautschuk-Wobbler aus Deutschland.
Mindestens 60 Jahre alt ist dieser Kautschuk-Wobbler aus Deutschland.

RAUBFISCH: Nicht nur aus Nordamerika stammen interessante Köder. Auch in Deutschland wurde fleißig erfunden. Gerade entlang des Rheins lagen ja wahre Erfinder-Hochburgen.

KALWEIT: Das stimmt, und das ist auch mein Haupt-Sammelgebiet, weil ich mit Blick auf den Kölner Dom geboren wurde. Ich stöbere seit Jahrzehnten in meiner Heimatregion über Flohmärkte, und da findet de schon vor über 100 Jahren mit Kunstködern aus Stoff, Leder oder Gummi experimentiert. Erst kürzlich bin ich auf einen etwa 60 bis 70 Jahre alten Kautschuk-Wobbler aus Deutschland gestoßen. Nur mal am Rande bemerkt: Vor wenigen Jahren wurden solche weichen Gummiköder mit einer Tauchschaufel als angebliche Innovation gefeiert.

Ob 3,5 oder 40 Zentimeter, den Hechten gefallen beide Ausführungen des berühmten Turus Ukko. Heute sind sie begehrte Sammelköder.

RAUBFISCH: Lassen wir die Materialen doch mal kurz Materialien sein. Wie sieht es mit der Ködergröße aus. Kommt es beim Angeln wirklich auf die Größe an?

KALWEIT: Na ja, mein längster Rapala ist ohne Drillinge stolze 75 Zentimeter lang. Es ist natürlich nur ein Schaustück, obwohl ich glaube, dass sich irgendein übermütiger Hecht sicherlich dran vergreifen würde. Der längste Wobbler, mit dem ich aber tatsächlich Fische gefangen habe, ist ein etwa 40 Zentimeter langer „Turus Ukko“ aus Finnland. Wenn man mit dem schleppt, muss man auf jeder Seite des Bootes jeweils einen auslegen, sonst dreht man sich durch den enormen Wasserwiderstand im Kreis. Vor 20 Jahren waren diese Riesenwobbler vor allem am Möhnesee ein Geheimtipp.

RAUBFISCH: Gerade die Skandinavier sind ja auch heute noch wahre Spezialisten in Sachen Köderbau.

KALWEIT: Oh ja, gerade die Schweden haben in der Vorkriegszeit noch vor Abu die unglaublichsten Kunstköder entwickelt. Das ist übrigens auch ein tolles Sammelgebiet. Erst kürzlich habe ich die Kunstköder von Georg Sparre kaufen können. Er war königlicher Förster und Jagdleiter in Ulricehamn, Västergötland. Sein ganzes Leben lang hat er berühmte Persönlichkeiten als Angelguide begleitet, und das schon vor dem 2. Weltkrieg. Da waren ein paar wirklich schöne und ausgefallene Stücke dabei!

Besonders die Schweden hatten ein Händchen für fantasievolle Köder. Diese hier sind weit über 60 Jahre alt.

RAUBFISCH: Ein Land, das man mit dem Thema Kunstköderbau vielleicht nicht auf Anhieb in Verbindung bringt, ist die Schweiz.

KALWEIT: Die Schweiz ist tatsächlich eine ganz große Kunstköder-Nation. Vor allem bekannt ist sie durch ihre genialen Perlmutt-Köder, etwa von der Firma Lemax. Es gibt Sammler, die beschäftigen sich wirklich nur mit eidgenössischen Kunstködern und haben damit ihr ganzes Leben lang gut zu tun. Vor allem auf den großen Seen in der Schweiz wurde und wird viel geschleppt. Sicher auch deshalb hatte D.A.M. noch vor etwa 60 Jahren den so genannten „Zuger-Wobbler“ mit Gummischwanzflosse im Programm, benannt nach dem Zuger See im gleichnamigen Kanton.

Kunstköder aus dem Rheinland. Hier typische Blechköder von Schrader (Köln) und Plate (Bonn).

RAUBFISCH: Dieser Wobbler scheint sich in seiner Zeit also durchgesetzt zu haben. Das war aber sicherlich nicht bei jeder Erfindung der Fall.

KALWEIT: Mitnichten. Vor allem die Amerikaner waren zwar generell ziemlich kreativ, man kann es aber auch verrückt nennen. Dort gab es zum Beispiel Kunstköder mit eingebautem Glasröhrchen, in die vor dem Angeln ein lebender Köderfisch gesteckt wurde, mit etwas Wasser natürlich. Eine wirklich böse Sache! Es gab auch Fledermaus-Imitationen, die mit ausgestreckten Flügeln über das Wasser zappelten. Oder Entenküken aus Kunststoff mit Drillingen. Der Fantasie waren da wirklich keine Grenzen gesetzt.

RAUBFISCH: Folgendes angenommen: Ich stolpere auf einem Flohmarkt über ein paar alte Köder, originalverpackt, aber mir vollkommen unbekannt. Wie kann ich vorgehen, um vielleicht den Wert bestimmen zu lassen oder generell an Infos zu kommen.

KALWEIT: Da gibt es viele Möglichkeiten: Ich freue mich immer über eine E-Mail an thomas.kalweit@paulparey.de, am besten mit ein paar aufschlussreichen Fotos. Ich helfe da gerne weiter! Oder man besucht mit dem guten Stück einen der zahlreichen Sammlerflohmärkte. Unter den Anbietern findet man sicher einen Experten. Auch im Internet finden sich zahlreiche Adressen, ein guter Anlaufpunkt ist beispielsweise das Forum auf altes-angelgeraet.de.

Der Zuger Wobbler war in den 1960ern der Geheimtipp für das Schleppfischen auf Hecht - nicht nur in der Schweiz.

RAUBFISCH: Und wo wir gerade bei kleinen Schätzen und Werten sind. Was ist eigentlich der teuerste Köder aller Zeiten?

KALWEIT: Der teuerste, mir bekannte Kunstköder ist der „Haskell Minnow“. Für das größte Exemplar dieses einfachen Blechfischchens wurde 2003 auf einer Aktion in den USA die sagenhafte Summe von 101.200 US-Dollar gezahlt. Das Patent des Köders stammt übrigens aus dem Jahr 1859. Generell werden in den USA deutlich höhere Preise für alte Kunstköder gezahlt. Zum einen angelt dort fast jeder, zum anderen stehen in den Büros vieler Manager Schauvitrinen mit altem Angelgerät. Angeln gehört dort einfach zum guten Ton, wie bei uns Fußball.

RAUBFISCH: Wovon träumt ein Sammler wie Du eigentlich?

KALWEIT: Ach, ich träume eigentlich nie von alten Kunstködern und zahle auch keine überteuerten Preise für meine Sammelstücke. Teuer sammeln kann jeder, die Kunst und der eigentliche Spaß ist es, wertvolle Stücke zu Schnäppchenpreisen zu ergattern. Mich interessieren, wie gesagt, meine Köder aus dem Rheinland, die oft für „kleines Geld“ zu haben sind, weil sie im Grunde nur ich sammle. Allerdings gibt es auch Highlights, die ich gerne hätte. Etwa einen Carmen-Spinner von Stork oder einen echten Hoffmann-Spinner aus dem 19. Jahrhundert. Aber auch beim Sammeln von Kunstködern gilt: Manche Träume dürfen sich nie erfüllen, denn dann ist es mit der Leidenschaft vorbei!

Das Interview führt Benny Dittmann

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